Zum Hauptinhalt
Landgericht München I vom 28.02.2023 vom 28.02.23

Medizinprodukterecht - Schmerzensgeld - Schadenersatzrecht: Brustimplantathersteller Allergan untergräbt gerichtlichen Vergleichsvorschlag trotz Kapselfibrose, LG München I, Az. 15 O 10526/22

Chronologie:

Die Klägerin ließ sich in 2013 Implantate des Medizinprodukteherstellers Allergan mit Sitz in Marlow, Großbritannien einsetzen. In der Folge litt sie u.a. unter einer schmerzhaften Kapselfibrose, starken Schwellungen und anhaltenden Gliederschmerzen. 2018 wurde bei ihr eine beginnende Asymmetrie diagnostiziert und die Klägerin über die Rückrufaktion der Firma Allergan zu texturierten Brustimplantaten informiert. Sie ließ sich daraufhin die Implantate explantieren und verlangt von Allergan den Ersatz der Explantationskosten, sowie Schmerzensgeld und sonstige Schadenersatzansprüche im deutlich fünfstelligen Eurobereich.

Verfahren:

Das Landgericht München I hat zu den Vorfällen einen Gütetermin anberaumt, in dem beide Parteien die Gelegenheit hatten, sich über den Verlauf und die von Experten festgestellte Karzinomgefahr der streitgegenständlichen Brustimplantate auszutauschen. Beide zeigten sich vergleichsbereit, woraufhin das Gericht den Parteien dringend anriet, sich auf einen Vergleich zu einigen und bezifferte diesen mit einer Gesamtentschädigung für die betroffene Klägerin unter Berücksichtigung der Verfahrenskosten im fünfstelligen Eurobereich. Die Klägerin wäre diesem Vorschlag nähergetreten, der Allerganvertreter ließ indes schriftsätzlich im Nachhinein mitteilen, Allergan sei lediglich zu einem Vergleich, der die Hälfte des gerichtlichen Vorschlages ausmacht bereit.

Anmerkungen von Ciper & Coll.:

Im Jahre 2019 rief der Medizinproduktehersteller Allergan weltweit seine BIOCELL-Brustimplantate zurück. Grund hierfür, auch wenn Allergan dieses stets gerne bestreitet, waren Warnhinweise der französischen Aufsichtsbehörde ANSM, die bestimmte Brustimplantate in 2019 aus dem Verkehr zogen, denn die sogenannten rauen oder strukturierten Allergan-Implantate stehen im Verdacht, das Wachstum von ALCL (anaplastisches großzelliges Lymphom), einer aggressiven Karzinomform,  zu begünstigen. Bereits seit dem Jahre 2011 besteht der hinreichende Verdacht auf den Zusammenhang der Implantate mit diesem Karzinom. Seit diesem Jahr waren bis 2019 unter rund 500.000 Trägerinnen von Brustimplantaten allein in Frankreich 56 Fälle aufgefallen.  Auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wies damals auf Gefahren dieser Implantate hin. In einer aktuellen Pressemeldung der BfArM vom 6. Januar 2023 heißt es, dass auch in Deutschland schon jetzt 43 derartige Karzinome nachweislich auf die texturierten Brustimplantate zurückzuführen seien! Vor noch kurzer Zeit wurden lediglich einige Verdachtsfälle angeführt. Statistisch sprechen Experten von einer Karzinomgefahr von bis zu 1 zu 300 Fällen. Mit anderen Worten: Nahezu jede dreihundertste Patientin birgt die Gefahr der Erkrankung, was in der Medizin eine ganz erhebliche Risikosituation darstellt. Hierzu muss man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ins Kalkül ziehen. Danach haben Mediziner bereits bei einem Risiko einer Gesundheitsgefährdung die bei 1: 4,5 Mio. Fällen liegt, aufzuklären!

Es hilft also keinem der Beteiligten weiter, die Karzinomgefahr zu bagatellisieren, sondern Maßnahmen sind erforderlich, um die Betroffenen von den Gefahren der Erkrankung fernzuhalten, was einerseits behördlicherseits geschehen kann, andererseits mittels juristischen Hinterfragungen der verantwortlichen Stellen, des Herstellers, der Implanteure, Zertifizierungsstellen, etc..

Weil sich diese seltene Karzinomform recht langsam entwickelt, Mediziner gehen von einer Latenzzeit von sechs Monaten bis zehn Jahren aus, ist nicht von der Hand zu wischen, dass sich allein in Deutschland, in der nach Medienberichten etwa 65.000 Implantattträgerinnen texturierter Brustimplantate betroffen sind, sich die Fallanzahl der noch entwickelnden Karzinome demnächst deutlich erhöhen kann.

Zu den rückgerufenen Implantaten zählen prinzipiell alle Allergan-Implantate mit einer rauen Oberfläche, insbesondere sind allerdings folgende Modelle betroffen:

  • Natrelle Kochsalz gefüllte Implantate
  • Natrelle Silikon gefüllte Implantate
  • Natrelle Inspira Silikon gefüllte Implantate
  • BRST Brustimplantate
  • Gewebeexpander 133Plus
  • McGhan
  • CUI

Betroffene haben die Möglichkeit, gegen Allergan Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld geltend zu machen. Höchstrichterliche Rechtsprechungen existieren zwar noch nicht, aber die ersten Gerichtsverfahren sind bereits auf den Weg gebracht, oder kurz vor der Einbringung bei den zuständigen Gerichten. Die möglichen Schadensummen variieren, je nach Schädigung:

Am geringsten fallen diejenigen Ansprüche aus, in denen Betroffene lediglich aufgrund der Karzinomgefahr nun eine Explantation der Implantate vornehmen lassen wollen. Hierbei handelt es sich oftmals um reine Vorsorgemaßnahmen, die dennoch auch psychische Belastungen mit sich bringen. Die zweite Gruppe umfasst diejenigen Fälle, in denen bereits ein körperlicher Gesundheitsschaden durch schadhafte Implantate eingetreten ist, wie etwa eine Kapselfibrose, Rupturen, Asymmetrien, etc.. Die höchsten Ansprüche sind in den Fällen zu erzielen, in denen es zu einer Karzinomerkrankung gekommen ist, die nachweislich auf den eingesetzten Implantaten beruht.

Es muss nicht darüber diskutiert zu werden, dass Betroffene sich juristischen Rat einholen sollten, um zu eruieren, welche möglichen Ansprüche gegen welche möglichen Anspruchsgegner durchsetzen lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Gerichtsstände im Falle einer gerichtlichen Inanspruchnahme je nach Gegner nicht nur in Deutschland, sondern auch und vor allem in Großbritannien, den USA und Frankreich liegen können, so Dr DC Ciper LLM, Fachanwalt für Medizinrecht, Avocat admis au Barreau de Paris/Frankreich.

Weiterführende Informationen zu Allergan

Medizinrecht – Arzthaftungsrecht – Behandlungsfehler: Teil eines Drainageschlauchs bleibt 2 Jahre lang unbemerkt in Brust des Klägers

Medizinrecht – Arzthaftungsrecht – Behandlungsfehler: Unzureichende präoperative Aufklärung vor Operation am Spinalkanal

Medizinrecht – Arzthaftungsrecht – Behandlungsfehler: Anwendung des ReCell-Verfahrens zur Behandlung einer labilen Vitiligo führt zu Entstellung des Klägers

Weitere Prozesserfolge laden...

Medizinprodukterecht - Schmerzensgeld - Schadenersatzrecht: Brustimplantathersteller Allergan untergräbt gerichtlichen Vergleichsvorschlag trotz Kapselfibrose, LG München I, Az. 15 O 10526/22

Cookie-Einstellungen
Auf dieser Website werden Cookie verwendet. Diese werden für den Betrieb der Website benötigt oder helfen uns dabei, die Website zu verbessern.
Alle Cookies zulassen
Auswahl speichern
Individuelle Einstellungen
Individuelle Einstellungen
Dies ist eine Übersicht aller Cookies, die auf der Website verwendet werden. Sie haben die Möglichkeit, individuelle Cookie-Einstellungen vorzunehmen. Geben Sie einzelnen Cookies oder ganzen Gruppen Ihre Einwilligung. Essentielle Cookies lassen sich nicht deaktivieren.
Speichern
Abbrechen
Essenziell (1)
Essenzielle Cookies werden für die grundlegende Funktionalität der Website benötigt.
Cookies anzeigen
Statistik (2)
Statistik Cookies tracken den Nutzer und das dazugehörige Surfverhalten um die Nutzererfahrung zu verbessern.
Cookies anzeigen